Im Kölner Stadt Anzeiger am 27.03.2007. Vgl. https://www.ksta.de/halb-arzt--halb-kriminologe-13202214, letzter Zugriff: 20.8.2018

"Erftstadt-Gymnich - Kränkelt der Mensch, geht er zum Arzt. Kränkelt die Kunst, kümmert sich der Restaurator darum. Ute Griesser beugt sich tief über ihren Patienten - den Korpus vom Liblarer Spürkerkreuz. Sie tunkt einen feinen Pinsel in braune Farbe, trägt sie vorsichtig dort auf, wo nur noch das bloße Lindenholz zu sehen ist.

Im Schlosspark Gracht ist die Holzskulptur normalerweise zu Hause. Dort hing sie bis vor einigen Monaten am Kreuz. Wind und Sonne haben dem Korpus aber stark zugesetzt. An Knie und Oberschenkel hat Jesus starke Blessuren davongetragen, die Farbe ist abgeblättert.

Die gebürtige Süddeutsche erklärte sich bereit, die Skulptur zu restaurieren. Geld nimmt sie dafür nicht - als Liebesbeweis für die Stadt. „Ich fühle mich hier schon verwurzelt, obwohl ich erst zwei Jahren in Gymnich wohne“, sagt sie.

Jesus liegt im lichtdurchfluteten Raum mit dem Rücken auf dem Tisch. Neben ihm fünf Pinsel, die sich kaum in ihrer Größe unterscheiden, säuberlich nebeneinander gereiht. An einer Hand fehlen ihm die Finger. Die gibt Griesser ihm später zurück, indem sie die Kuppen aus einem kleinen Lindenholzstück schnitzt. Mit einem feinen Skalpell schabt Griesser vorsichtig Spuren vom Efeugewächs an der Skulptur ab, winzige Fleckchen, nicht größer als zwei Millimeter.

„Restauratoren sind keine Künstler. Wir dürfen nicht selbst kreativ werden.“ Ein Satz, den die 42-Jährige nicht einfach so dahin sagt. „Das ist wichtig“, sagt sie, schaut über ihren Brillenrand hinweg. Die Aufgaben von Restauratoren würden oft falsch verstanden. Es ärgere sie etwa zu lesen, dass Restauratoren ganze Originalfarbschichten von einem Möbelstück abschleifen und ihm dadurch „neuem Glanz verleihen“. „Dann sind es keine Restauratoren.“ Und sie seien auch keine Handwerker, obwohl die Cordweste etwas an eine Zimmermannskluft erinnert.

Ihre Aufgabe als Restauratorin sei vielmehr, den „anzunehmenden Urzustand“ eines Objektes wieder herzustellen - bewahren und nicht aufpolieren. Das gelte auch für das Spürkerkreuz, von dem die Expertin glaubt, dass es in den 60er Jahren entstanden ist. Obwohl es eine vergleichsweise junge Geschichte hat, und es kein Denkmal ist, behandelt Griesser das Kreuz wie ein geschichtliches Objekt. Der Anstrich gehöre zum Original dazu, und den gelte es zu erhalten, betont sie. Das Abschleifen der ursprünglich verwendeten Farbe verbiete ihr „strenger ethischer Code“.

Nur dort, wo Farblücken klaffen, bewegt Griesser den Pinsel. Die frische Farbe ist später wieder leicht zu entfernen, da die Restauratorin reversibles Farbbindemittel benutzt. „Damit das, was Original ist, auch Original bleibt.“ Auffallen dürfen die Ausbesserungen trotzdem nicht. Den Farbton zu treffen, ist etwas trickreich. Für das Spürkerkreuz vermischt Griesser vier Brauntöne. Dass die Farbe einen helleren Ton annimmt, sobald sie getrocknet ist, hat sie einkalkuliert. Jeder Schritt ist durchdacht.

Ihre Lehrer hatten in ihr die Wissenschaftlerin, die sie heute ist, nie gesehen. Sie entdeckten ihr Talent beim Malen, also rieten sie ihr zur freien Kunst. Aber die 42-Jährige wusste, dass ihr dafür die Bildideen fehlen. Ihre Stärke war die Reproduktion. „Also entschied ich mich für die Restaurierung.“ Dafür nahm sie eine lange Ausbildung in Kauf: insgesamt fünf Jahre Praktika bei einem selbstständigen Restaurator und in Museen, gefolgt vom Studium an der Fachhochschule Köln mit der Fachrichtung Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Holzskulpturen - gefasst heißt so viel wie bemalt.

Bevor Griesser sich vor zwei Jahren in Gymnich selbstständig machte, hatte sie acht Jahre im Restaurierungsatelier in Köln auf dem ehemaligen Clouth-Gelände gearbeitet. Dort waren die Ausstellungsgegenstände ihre Schützlinge, speziell die Thangkas, tibetische Rollbilder, auf deren Konservierung und Restaurierung sich die Gymnicherin spezialisiert hat. Heute werden Patienten zum stationären Aufenthalt in ihre Atelier gebracht. Das kann ein altes Lieblingsgemälde sein, das beim Frühjahrsputz von der Wand gefallen ist, oder ein modernes Kunstwerk von Hans Peter Alvermann, das auseinandergefallen ist. Einen Unterschied in der Arbeit macht Griesser dabei nicht. „Ob ich ein Flohmarktbild bearbeite oder ein Rubens-Bild ist das Gleiche.“

Ute Griesser rettet - auch, wenn es brennt. Rund 50 Gemälde, die im Schloss Gymnich hängen, hat sie von Ruß befreit. Nachdem vor einigen Monaten ein Feuer im Vorratskeller des Schlosses ausgebrochen war, waren die Werke gefährdet. Durch die Hitze hätten die Gemälde zwar keinen Schaden genommen, sagt die Frau. „Aber durch den Oxidationsprozess kann es zu chemischen Verbindungen kommen, die sich in die Gemäldeoberfläche fressen.“ Ein Werk mit Schloss Gymnich als Motiv steht zurzeit bei ihr auf der Staffelei. Damit es keinen Klimaschock bekommt, hält ein Thermohygrograph Schwankungen der Raumtemperatur fest und überprüft, ob das Klima stabil ist. Griesser wickelt Watte auf einen Bambusstab und tunkt ihn in eine wässrige Reinigungslösung. Vorsichtig rollt sie das Wattestäbchen über die Gemäldeoberfläche ab. Zuvor hat sie mit einer UV-Lampe genau analysiert, wo das Bild im Laufe seines Lebens schon retuschiert wurde.

Wie ein Kriminologe einen Fall untersucht, nimmt sie sich das Bild vor. „Auf einer Oberfläche kann es verschiedene Strukturen geben, auf der sich der Schmutz hartnäckig oder weniger hartnäckig hält.“ Die Restauratorin vergleicht es mit Krümeln auf einem Tisch, die leichter zu entfernen sind als von einer Tischdecke. Selbst zwei Gemälde, die ein Künstler an einem Tag auf die Leinwand gebracht hat, könnten sich sehr unterscheiden. „Jedes Bild hat seine eigene Geschichte.“

Für diese akribische Arbeit benutzt Griesser viele medizinische Geräte wie etwa Skalpell und Pinzette. Nicht zuletzt deshalb ähnelt ihr Beruf dem eines Arztes. Mit Hingabe widmet sie sich jedem Fleck, jedem Staubkorn. „Es ist wie eine Meditation.“

Styrie, Hanna am 28.01.2011 in der Kölner Rundschau: Vgl. https://www.rundschau-online.de/restauratorin--angekommen--im-neuen-atelier-11637790, letzter Zugriff: 20.8.2018.

"FRECHEN -

Noch steht nicht alles an Ort und Stelle, aber Ute Griesser hat schon das Gefühl, in ihrem neuen Atelier „angekommen“ zu sein. Die Räumlichkeiten in Gymnich, in denen die Restauratorin fünf Jahre lang gelebt und gearbeitet hatte, waren mit der Zeit zu klein geworden. Obwohl die 46-Jährige seit über 20 Jahren im Beruf ist, hat sie den Eindruck, „dass es jetzt erst richtig los geht“. Die 50 Quadratmeter große Werkstatt samt separatem Büro schräg gegenüber dem Kunstzentrum Signalwerk kam da gerade recht: Sie verfügt nicht nur über eine große Fensterfront und eine Klimaanlage, sondern auch über eine Tür, die breit und hoch genug ist für überdimensionale Kunstwerke wie den Josefs-Altar, den sie gerade in Arbeit hat.

„Über den Hof sind Lkw-Anlieferungen möglich, und dem Sicherheitsaspekt wird auch Genüge getan“, freut sich die Diplom-Restauratorin, deren Auftraggeber vornehmlich aus Aachen, Düren und Erftstadt stammen. Für das Liblarer „Spürkerkreuz“ am Rande des Schlossparks hat sie vor einigen Jahren die hölzerne Christusfigur restauriert. Beteiligt war sie auch an der Aufarbeitung von Gemälden aus Schloss Gymnich, die bei einem Brand in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Ein Jahr Arbeit liegt hinter ihr, wenn der neogotische Josefs-Altar in die Kirche nach Schwalmtal in der Nähe von Mönchengladbach zurückkehrt. Ute Griesser hat Fehlstellen ausgebessert und die Vergoldung retuschiert. Die Wiederherstellung des Urzustandes war das Ziel der Bemühungen.

Für Ute Griesser, die 1994 ihr Diplom an der Kölner Fachhochschule erworben hat, ist ihr Beruf der Traumjob schlechthin. Sie hat sich auf Gemälde und gefasste Holzskulpturen spezialisiert, die Kirche ist ihr Hauptauftraggeber. „Sakrale Objekte liegen mir besonders am Herzen“, berichtet sie. Mit der Restaurierung tibetanischer Rollbilder, sogenannter Thangkas, hat sich die Schwäbin in ihrer Branche außerdem einen internationalen Ruf erworben. Vor zehn Jahren hat sie sich selbstständig gemacht, im Namen ihres Unternehmens „Artem dignare“ soll sich die Wertschätzung ausdrücken, die sie für Kunstwerke aller Art empfindet. „Ob jemand einen Rubens bringt oder ein Bild vom Flohmarkt, macht für mich keinen Unterschied. Der Aufwand der Bearbeitung ist gleich.“

Dass sie in ihren neuen Räumen über einen großen Safe verfügt, kommt ihr äußerst gelegen. „Da kann man kleinere Kunstgegenstände sicher verwahren“, freut sie sich. Und weil die Auftragslage so gut ist, beschäftigt Griesser demnächst noch eine Kollegin. Am liebsten wäre es ihr freilich, wenn es ihr gelänge, Restauratoren aus den Bereichen Papier und Textil in den angrenzenden Räumen anzusiedeln und ein „Restaurierungszentrum Köln-West“ zu etablieren. „Das wäre ganz toll, da könnte man auch von Synergie-Effekten profitieren“, begeistert Griesser sich."